Wohnreportage Reihenhaus im neuen Glanz

Mitten im Stadtzentrum, reichlich Platz und Blick in den Garten: Das ist die Mühe wert, ein verfallenes Reihenhaus aus den Zwanziger Jahren wiederzubeleben.

Passade

Hohe, weiße Sprossenfenster geben der dunklen zweistöckigen Backsteinfassade dezente Noblesse. Trutzig wie eine Wagenburg umschließen die Reihenhäuser aus den 1920er-Jahren ein großes Gartenkarree.

Die Historie ist nur noch Fassade in dem Mittelhaus, das Kerstin Rittner mit Mann und Tochter bewohnt. Überraschend hell und offen empfängt uns das Entree. Durch die Küche reicht der Blick bis in den rückwärtigen Garten. Mit elegantem Schwung führt eine Treppe in die oberen Stockwerke. „Auf Trennwände zum Aufgang haben wir verzichtet“, erklärt Kerstin Rittner, „alle Wände sind verputzt und weiß gestrichen, die Fenster der Gartenseite bis zum Boden hin vergrößert.“ Ein weißer Steinfußboden der Küche unterstreicht die Großzügigkeit: ein „Micro-Terrazzo“, nur einen Zentimeter stark und ohne tagelange Schleifarbeiten zu verlegen. Damit kennt sie sich aus. Kerstin Rittner ist Architektin, ihr Vater Bauingenieur und ihr Bruder Stahlbetonbauer. „Ein perfektes Team! Sonst hätten wir die Finger von dem Objekt gelassen!“

Das Hamburger Stadthaus ist nicht teurer als eine Vorortimmobilie. Der Pferdefuß: Es hat einen Grundbruch, in der Mitte ist es um 15 Zentimeter abgesackt. Ursache war der instabile Baugrund, ein ehemaliges Moor. Die Sanierungskosten belaufen sich in Höhe des Kaufpreises, doch die gute Lage und das traditionelle Ensemble sind es den Rittners wert. Hinter der alten Fassade planen die beiden einen Neubau, exakt auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Treppe, Türen und Eichenparkett lassen sie aufarbeiten und später wieder einbauen. Alle Innenwände, Fußböden und Decken reißen sie heraus. 42 Stützen, auf neuen Streifenfundamenten, halten jetzt das Dach. „Experimentelles Bauen im gewachsenen Bestand“, meint der Vater mit Galgenhumor, als hinter Wandverkleidungen zu den Nachbarhäusern deutliche Risse zu Tage kommen. Die Außenwände müssen alle 50 Zentimeter mit Spiralankern versehen werden. Das erhöht die Kosten. Sonst läuft alles nach Plan.

Als Tonnen von Schutt weggekarrt sind, rücken nach Weih nachten die Handwerker an. Der Winter, in dem sie gewöhnlich mehr Zeit haben, wird genutzt. Dach und Außenwände stehen. Durchhängende Dachbalken lassen sich anheben. „Der Vorbesitzer hatte Glück, dass er nicht samt Badewanne einen Stock tiefer gerauscht ist“, erzählt die Bauherrin. Verfaulte Balken werden erneuert. Neben jeden Träger für den Boden kommt ein zweiter für die Decke: zur Schallentkoppelung! Wände in Holzrahmenbauweise belasten den Baugrund künftig weniger als die alten Mauern – eine Wiedergeburt wie Phönix aus der Asche.

Im Mai zieht die Familie ein: Ihre modernen Möbel lassen die Räume nicht überladen wirken, Akzente setzen Bilder eines befreundeten Künstlers. Für den Charme von gestern sorgen die Türen, das Eichenparkett sowie die Originaltreppe. „Über knarrende Stufen wird Lilli später fluchen, wenn sie ihr Reich unterm Dach bezieht“, lacht Kerstin Rittner. Noch trifft die 7-Jährige ihre Freunde gern im Holz haus, das Opa im Garten gebaut hat. Ein kleines Paradies in der Stadt mit „einer Atmosphäre, die es nur im gewachsenen Ensemble gibt“, ist die Hausherrin überzeugt.