Wohntrends der Zukunft: Oona Horx-Strathern Wie wir in Zukunft wohnen werden

Im Interview mit ZUHAUSE WOHNEN spricht Trendforscherin Oona Horx-Strathern über die Auswirkungen der Corona-Krise auf unsere Art zu wohnen und damit verbundene Chancen

In Mailand steht bereits das begrünte Hoch­haus "Bosco Verticale"

ZUHAUSE WOHNEN: Frau Horx-Strathern, in den vergangenen Jahren gab es den Trend hin zu mehr Mobilität und flexibleren Wohnformen. Macht uns die Krise wieder sesshafter?

Oona Horx-Strathern: Aktuell sind wir dazu gezwungen, sesshafter zu sein. Und das Paradoxe daran ist: So wie einerseits der Ort, an dem wir uns aufhalten, an Bedeutung gewinnt, so sehr werden uns andererseits Freiheit und Flexibilität wichtiger – weil wir merken, dass sie uns fehlen. Mit Blick auf die durch die Krise bedingten wirtschaftlichen Einbrüche müssen sich viele von uns sicherlich die Frage stellen, ob wir es uns zukünftig überhaupt noch leisten können, oft umzuziehen.

In Ihrem „Home Report 2019“ ging es u. a. um Co-Living, also gemeinschaftliche Nutzungskonzepte – das Teilen von Räumen, Autos oder gar Haustieren. Haben diese Ideen in Zeiten von Social Distancing noch eine Chance?

Isolation und Einsamkeit sind Themen, die jetzt an die Oberfläche gespült werden. Social Distancing verlangt kreative Lösungen dafür, dass Gemeinschaft auch in Zukunft erfahrbar bleibt, vor allem beim Wohnen. Zukünftig könnte z.B. jeder einen eigenen Rückzugsbereich in einer WG haben, in der er mit vier oder fünf für ihn wichtigen Menschen zusammenlebt: Jeder hat ein eigenes Bad, eine Kochgelegenheit, dazu gibt es Gemeinschaftsräume.

Corona hat sich auch in Ballungsräumen besonders ausgebreitet. Wird das Landleben nun wieder attraktiver?

Den Trend „zurück zur Natur“ haben wir ja schon. Doch selbst wenn viele Menschen durch das Internet die Möglichkeit haben, von überall aus zu arbeiten: Städte bieten Arbeitsplätze, man ist dort mobiler, hat eine bessere Infrastruktur. Städte werden auch immer ökologischer. Man sieht z. B. vermehrt „Dörfer“ in der Stadt: Hochhäuser mit Gärten auf dem Dach und Gemeinschaftsräumen, um zusammen zu kochen und zu feiern. Und Balkone bekommen eine ganz besondere Bedeutung: Nicht nur, weil man die Sonne genießen oder Blumen und Gemüse pflanzen kann, auch für die Interaktion mit den Nachbarn. Wo möglich, werden Balkone mehr und mehr nachgerüstet werden.

Lesetipp: So wird dein Südbalkon, Nordbalkon, Westbalkon und Ostbalkon zur grün bepflanzten Oase!

Seniorenheime sind von der Pandemie stark betroffen. Könnte diese Tatsache zu neuen Wohnformen für die ältere Generation führen?

Ich bin immer für Diversität. Unterschiedliche Generationen können viel voneinander profitieren – gerade gehen z. B. viele Jüngere für die Älteren einkaufen. In Schweden gibt es zu diesem Thema ein interessantes Wohnprojekt: Es dürfen nur unter 25- und über 65-Jährige einziehen – beides Altersgruppen, für die Einsamkeit ein Thema ist –, und die müssen zwei Stunden pro Woche zusammen Zeit verbringen.

Wird sich Ihrer Meinung nach das Arbeiten verändern – mehr mischfunktionale Wohnungen, in denen das Home-Office selbstverständlich wird?

Raum für ruhiges Arbeiten ist aktuell kostbar. Nicht jeder hat ihn, nicht jeder könnte ihn sich leisten. Viele haben zu Hause keinen Schreibtisch – für ein Tablet ist der nicht nötig. Aber wenn mehr von zu Hause aus gearbeitet wird, benötigt man auch mehr Platz. Flexible Wände zum Abtrennen sind ungeeignet, weil sie Lärm nicht ausreichend dämmen. Also sind wir auf Ausweichmöglichkeiten angewiesen. Es gibt den Begriff der „Shedquarters“: Anstatt von der Abstellkammer oder dem Flur wird vom Gartenhäuschen aus gearbeitet. In Deutschland wird ja ein Recht auf Home-Office diskutiert. Vielleicht gibt es irgendwann sogar einen Mietzuschuss von der Firma, weil sie dank Homeoffice Bürofläche spart?

Welche Trends sehen Sie noch?

Jetzt wird deutlich, dass die eigene Wohnung mehr Wertschätzung verdient. Das oft belächelte Thema „Hygge“ wird wichtiger. Und das ist mehr, als ein paar Kissen hinzulegen. Es geht auch um Beachtung vernachlässigter Ecken und um eine radikale Bestandsaufnahme à la Marie Kondo, bei der die Befreiung von Altlasten im Vordergrund steht, um Raum für mehr Lebensfreude zu schaffen. Und man kann selbst mit kleinem Geld viel machen, wie eine Wand neu streichen, den alten Stuhl aus dem Keller aufmöbeln. Auch der Trend, den ich „Home Suite Home“ nenne, spielt eine Rolle: dass sich Menschen im Hoteldesign kreative Ideen für ihr Zuhause abschauen.

WOHNTRENDS, DIE UNS BEGLEITEN WERDEN

Das Zukunftsinstitut skizziert anhand von zwölf Megatrends die globalen Veränderungsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft. Zwei davon sind:

  • Urbanisierung: Immer mehr Menschen leben weltweit in Städten oder deren Einzugsgebieten. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass die Krise dem Sog dorthin die Dynamik entziehen könnte.
  • Sicherheit: Die Krise zeigt, dass man sich nicht gegen alles absichern kann. Als Reaktion darauf geht der Trend zur „Hyperlokalisierung“, also sich auf die unmittelbare Nachbarschaft zu fokussieren. Mehr auf zukunftsinstitut.de